Lesung aus „O martelo“: Adelaide Ivánova hämmert das Patriarchat

Erotik und Gewalt sind Themen, die Adelaide Ivánovas Werk „o martelo“ („Der Hammer“) durchdringen.

Adelaide

Wie verändert sich die Wahrnehmung von Sexualität und Lust nach einem Vergewaltigungsfall und inwiefern kann sich diese Gewalt auch auf die Gerichtsverhandlung durch die wiederkehrende Demütigung des Opfers ausweiten?

Die brasilianische Autorin Adelaide Ivánova berührte in ihrer Lesung „A foice e ‚o martelo‘ – sobre poesia, coletividade e individualismo“ („Der Hammer“ und die Sichel – über Poesie, Kollektivität und Individualismus) Fragen zu Gewalt, Sexualität und Vergewaltigung. Die Veranstaltung fand am 26. November 2019 statt im Rahmen der Veranstaltung Brasilianische Gegenwartsliteratur von Frauen, organisiert von Peter Schulze und Claudia Cuadra des Portugiesisch-Brasilianisches Instituts der Universität zu Köln.

„Der Hammer“

„o martelo“ erzählt die Geschichte einer nicht identifizierten Figur; es ist nur bekannt, dass sie eine Frau ist. Das Werk beginnt unmittelbar nach dem Vergewaltigungsfall, so wird der Leser direkt mit dem langen, bürokratischen Gerichtsverfahren konfrontiert. Später führt uns die Figur mit bissigen Beschreibungen durch ihr Lustleben, das sie nach der traumatischen Erfahrung neuschaffen muss. Dabei erforscht sie ihre eigene Sexualität und fragt sich nach den Grenzen des einvernehmlichen Sex.

Sich mit dem Hammer gegen die Männerwelt wehren

Ivánova erzählt in der Lesung, sie sei auf ein altes Gesetz des Römischen Reiches gestoßen, welches das Einvernehmen der Frau überhaupt nicht in Frage stellte. Das passierte, während sie die Beschreibung von Vergewaltigungsfällen in dem brasilianischen Strafgesetzbuch untersuchte. Konstantin der Große (der erste christlich-römische Kaiser) schaffte ein Gesetz, das festlegte, dass Vergewaltigung und Ehebruch als ähnliche Verbrechen galten, die nur von der Frau begangen wurden. Die Frauen wurden einfach als eine Erweiterung des Männerkörpers angesehen: ihres Mannes oder ihres Vaters. Weil sie nicht in der Lage waren, sich um das Eigentum ihres Mannes zu kümmern (das Eigentum hier wäre ihr eigener Körper), mussten sie die Schuld dafür allein tragen. Das brasilianische Strafgesetzbuch folgte dieser Idee der unselbständigen Frau bis 2005, als der Begriff „mulher honesta“ (ehrenhafte Frau) vom Originaltext endlich entfernt wurde.

In „o martelo“ beobachtet Adelaide Ivánova sorgfältig einen Wandlungsprozess des Ichs. Es erfasst das Traumatische und Laszive und deren eventuelle Überschneidungen. Die Art und Weise, wie die Figur mit ihrer individuellen Erfahrung umgeht, gehört letztendlich zu einem kollektiven Kampf, der das Auslöschen der weiblichen Stimmen verhindern soll.

„Der / Hammer / ist ein tolles Objekt / um gut zu schlafen / oder zu nageln.“

Hinterfragung ihrer Position als Dichterin

Zu Beginn der Veranstaltung hinterfragt Adelaide Ivánova ihre Position als Dichterin, nachdem sie sich aus der Dichtung zurückgezogen hat. Die Versöhnung mit der Poesie kam erst nach einer näheren Betrachtung einiger Autoren und Autorinnen: Barbara Wallace, die die Geschichte anhand von Gedichten anstatt Theorien beschreibt; Kurt Eisner, der das Leben als Kunstwerk angesehen hat und eine wichtige Figur für die Münchner Novemberrevolution war; und John Berger, der danach strebt, das Publikum durch seine Werke zum Nachdenken seiner selbst anzuregen.

Über die Autorin

Adelaide Ivánova ist 1982 in Recife geboren und lebt seit 2011 in Deutschland. Sie ist eine politische Aktivistin und Journalistin sowie Lyrikerin, Fotografin, Übersetzerin und Publizistin. Sie steht für die unabhängige Publikation von Literatur und unterstützt vor allem brasilianische Autor*innen außerhalb der „Rio-São Paulo“-Achse.

„o martelo“ ist Ivánovas vierte Veröffentlichung. Das Buch wurde in mehreren Ländern veröffentlicht: Portugal, Brasilien, England, USA und Deutschland. Im Jahr 2018 gewann die Autorin mit diesem Werk den Rio-Literaturpreis. Derzeit redigiert sie das antikapitalistische Gedicht-Zine „MAIS NORDESTE, PFVR!“.

LCdM 26.11.2019
Von rechts nach links: Carola Saavedra, Adelaide Ivánova, Paloma Vidal, Claudia Cuadra, Peter Schulze und Stephanie Borges. 26. Nov. 2019

 

Julliana Lobo

Hinterlasse einen Kommentar